
«Brunetti beschloss, sich im Caffè Paolin einen Espresso zu genehmigen. Die Tische standen noch draussen, aber heute sassen nur Ausländer daran, die sich verzweifelt einzureden versuchten, es sei warm genug für einen Cappuccino im Freien. Vernünftige Leute gingen hingegen nach drinnen…» Wie vernünftig wir uns in Venedig verhalten würden, sollte sich noch zeigen. Jedenfalls findet unsere (erste Brunetti-)Reise Ende Oktober statt.
Inhalt
Commissario Brunettis weltberühhmter Arbeitsort
Um den Spuren des Commissarios zu folgen, ist die Jahreszeit genau die richtige: Nebel hängt beinahe mystisch anmutend über den Kanälen und zwischen den Kuppeln der Stadt – und verschleiert gnädig bröckelnde Fassaden. Als wir an der Questura vorbeischlendern, deutet nichts darauf hin, dass dieses Gebäude in der halben Welt als Brunettis Arbeitsplatz bekannt ist.
Immerhin werden Donna Leons Krimis in 20 Sprachen übersetzt – nur nicht ins Italienische. «Ich will nicht, dass man glaubt, ich masse mir an, über mein Gastland zu urteilen», erklärte einst die Autorin, die lange in Venedig gelebt hat und inzwischen ins Val Müstair umgezogen ist. Aus der gebürtigen US-Amerikanerin ist mittlerweile gar eine Schweizerin geworden. Nun, in der Questura entdeckt man schon lange keine Polizisten mehr, denn die sind längst umgezogen. Im Sommer 2021 machte das Gebäude den noch viel maroderen Eindruck als bei der ersten Reise. Wir sind gespannt, wie lange hier noch Dreharbeiten durchgeführt werden können…


Selbstverständlich sehen wir uns auch das Theater La Fenice an – hier haucht Dirigent Wellauer in «Venezianisches Finale» sein Leben aus –, die Hotels Fenice und Gritti Palace, die im gleichen Krimi vorkommen, und unumgänglich: die Piazza San Marco. Der Commissario mag den Platz nicht sonderlich, denn er wird sogar im Herbst von Touristen geradezu überschwemmt – vom Wasser, das im Winter jeweils aus den Gullis gurgelt gar nicht zu reden.

Sonntagmorgen im September 2021 ist der Platz angenehm bevölkert (Bild).
Auch wenn die vielen Reisenden von den Venezianern freundlich empfangen werden, hört man sie dennoch häufig klagen, sie würden in einem riesigen Museum wohnen, das zu viele Besucher hat. Das ist – zumindest während der Hochsaison – nicht zu bestreiten. Venedig ist nun mal an Einzigartigkeit wirklich nicht zu überbieten. Angefangen beim ungewöhnlichen Bauplan der Stadt und der Verkehrssituation bis zur Anhäufung historischer Gebäude, die alle sehenswert sind und entsprechend (zu) gut frequentiert.
Venedigs ruhige Zeiten
Zwei, drei Gassen abseits des Markusplatzes herrscht – zumindest im Winter – wieder die Ruhe einer «verschlafenen Provinzstadt, die nach neun oder zehn Uhr abends buchstäblich aufhört zu existieren», wie sich Brunetti ausdrückt. Auf die Zeit während der Covid-Pandemie hat das ganz sicher zugetroffen. Da ist die Stadt ohnehin richtig gemütlich gewesen. Doch sobald die Bewohner der grossen Länder wieder unterwegs sein werden, wird das ein Ende haben.


September erscheint uns für unsere zweite Brunetti-Reise dennoch ein sehr guter Monat zu sein, jedenfalls 2021. Am Sonntagmorgen ist der Markusplatz im Vergleich zu früheren Jahren geradezu verwaist. Vor dem Eingang der Markuskirche bildet sich eine kleine Menschenschlange, beim Dogenpalast steht hingegen niemand an. Wir machen den Fehler, zuerst den Dogenpalast zu besuchen. Als wir dort durch sind, ist die Schlange vor der Markuskirche definitiv zu lang – während sich nach wie vor kaum jemand für den Dogenpalast interessiert. Okay, das haben wir fürs nächste Mal gelernt!


DIE Dachterrasse Venedigs
Das Buch über die Schauplätze der Krimiserie, das wir dabei haben, entpuppt sich als sehr verworren. Da haben wir voll daneben gegriffen (es wird auch nicht bei den Buchtipps weiter unten erwähnt!), aber es war natürlich unser Fehler, dass wir nicht schon zu Hause bemerkt haben, dass der Autor zwar viel weiss, aber das Wort Struktur oder Karte noch nie gehört hat. Dennoch finden wir das Haus, in dem Brunetti wohnt. Von der Vaporettostation Sant Angelo aus sieht man am besten zur sagenhaft schönen Dachterrasse der Brunettis hinüber. Das Haus ist zwar eingerüstet, aber immerhin ist die Terrasse samt Sonnenschirm zu sehen. Dort würden wir gerne ein paar Monate wohnen und uns Venedig «einverleiben»…

Was der geneigte Brunetti-Fan ebenfalls berücksichtigen sollte: Orte des Geschehens in den Büchern und den Filmen sind oft nicht identisch. Deshalb lohnt es sich, eine Führung zu buchen. Jene von Fiona Giusto wurde uns empfohlen – leider erst nach unserer Rückkehr. Wir werden die Tour dann nächstes Mal ins Programm aufnehmen.
Nach dem ausgedehnten Bummel durch Venedigs Gassen ist es nun definitiv Zeit für einen Cappuccino – natürlich im Caffè Paolin, das auch für seine Gelati bekannt ist. Und weil sich die Sonne zeigt, beschliesse ich – ganz Touristin – draussen Platz zu nehmen. Brunetti hin oder her…

Infos zu Venedig
ANREISE
Am bequemsten reist man per Bahn: Morgens in der Schweiz einsteigen und nachmittags in Venedig ankommen. Ab Zürich werden auch Flüge angeboten, was sich vor allem für Eilige lohnt.
Wer mit dem Auto anreist, kann vor der Brücke nach Venedig parkieren und per Wassertaxi direkt in die Stadt gondeln oder mit dem People Mover, der Hochbahn, der gleich beim Parkhaus/Parkplatz hält, zum Bahnhof von Venedig. Von dort geht es dann mit den Vaporetti weiter.
BESTE REISEZEIT
Venedig ist eine Ganzjahresdestination, in der jede Jahreszeit ihren Reiz hat. Sogar der Winter. Man muss sich nur entsprechend wind- und regenfest kleiden.
HOTELS
Palazzetto Madonna
Das 4-Sterne-Haus liegt im Viertel San Polo und ist von der Vaporettostation San Tomà aus ohne Brücken und Treppen in drei, vier Minuten erreichbar.
https://www.palazzettomadonna.com/


Hotel Flora, San Marco
Das von der Besitzerfamilie in dritter Generation betriebene Hotel mit Garten im Innenhof befindet sich nur wenige Schritte vom Markusplatz entfernt.
https://www.hotelflora.it/
RESTAURANTS
Osteria Oliva Nera
Castello, 3471/18 (erreichbar ab Vaporetto-Station S. Zaccaria)
https://olivanera.com/
Sacro e Profano
Via San Polo 502 (Osteria in der Nähe der Rialto-Brücke)
Vini da Gigio
Cannaregio, Calle Stua Cannaregio n° 3628A
https://vinidagigio.it/
kleine gemütliche Bar
BUCHTIPPS
31 Krimis (Stand Dez. 2022) rund um den venezianischen Commissario Brunetti von Donna Leon. Brunettis 32. Fall wird im Mai 2023 veröffentlicht.
«Bei den Brunettis zu Gast», Kochbuch, Rezepte von Roberta Pianaro und kulinarische Geschichten von Donna Leon.
«Auf den Spuren von Commissario Brunetti» Ein kleines Kompendium für Spurensucher, mit separatem Stadtplan, von Elisabeth Hoffmann und Karl-Ludwig Heinrich (beschreibt rund 150 der wichtigsten Schauplätze aus den Kriminalromanen bis und mit «Reiches Erbe»).

© Text: Inge Jucker; Fotos: Heinz Jucker | TravelExperience.ch | 2023
Offenlegung: Hier gibt es nichts offenzulegen, denn wir haben unsere Venedig-Reise selber bezahlt.
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