
Als der Kanal 1682 der Schifffahrt übergeben wurde, war er ein technisches Meisterwerk. Und das ist er bis heute geblieben. Heute dient er vor allem dem Tourismus und sorgt für entspannte Ferien.
Inhalt
Magnifique – im warsten Sinne des Wortes
Wir – drei Ehepaare und eine Berner Sennenhündin – haben uns ein grosses Boot, eine «Magnifique», gemietet. Der Stauraum in den Kabinen ist bei diesem Schiffstyp sehr knapp bemessen, und so zahlt sich aus, dass wir ein Boot mit vier Schlafkabinen gebucht haben. Die «überzählige» Kabine dient als Reduit. Die leeren Koffer und Taschen lassen wir bis zur Rückkehr dennoch an Land, im Auto.

Ein Mitarbeiter der Bootsvermietung zeigt zunächst das Wichtigste, nämlich wie ein Boot zu manövrieren ist. Aber auch der Wassertank, der Gasherd, die elektrische Anlage sowie die Pumpen in Toiletten und Duschen werden erklärt. Spätestens jetzt ist jedem klar, dass das Bordleben ein ganz anderes, noch ungewohntes ist. Und Hündin «Muscat» muss lernen, wo sie sich aufhalten darf. Der Platz, der ihr Übersicht bietet – auch auf andere Boote und deren mitreisende Hunde – ist aber rasch gefunden. Nach der Einweisung ist jedoch erst einmal Einkaufen angesagt: Lebensmittel, Toilettenpapier und einige Kleinigkeiten, die man persönlich nicht missen möchte. Und los geht’s – mit Einleben.
Wir übernachten im Hafen, füllen am nächsten Morgen nochmals Frischwasser in den Tank und legen los.


Fahrschule für Newbies
Barbara und Jean zählen zu den Profi-Bootsführern, Chantal und Marc haben schon Hausbooterfahrung – nur «Muscat», Heinz und ich sind absolute Newbies. Das kann ja heiter werden…

Um der angestauten Aufregung endlich die Spitze zu nehmen, gibt es für mich – uiuiui… – erst einmal Fahrunterricht von Captain Jean. Als Chef von Marina Travel kennt er sich auf dem Canal du Midi bestens aus und ist ein «alter Hase» was Boote anbelangt.

Los geht’s: Ruder ganz einschlagen, kurz Vollgas nach vorne, dann rückwärts, wieder nach vorne und so weiter – ich schaffe meine erste 360-Grad-Drehung an Ort mitten im Hafen von Homps. Das fühlt sich seltsam an – rundherum schauen zwar alle verdutzt zu –, aber ich bin doch auch ein wenig stolz. Immerhin ist das Schiff beinahe 15 Meter lang – für mich als Neuling ein Riese! Und er hat gemacht, was ich wollte. Natürlich kommen nach und nach auch die anderen in den Genuss der einen oder anderen Fahrlektion. Nur Muscat darf sich faul in die Sonne legen und sich ohne jeden Aufwand fahren lassen.



Das erste Gefühl für das Boot ist entwickelt – die gemächliche Fahrt auf dem UNESCO-Weltkulturerbe beginnt. Wenn man es recht bedenkt, wird das Kunstwerk Canal du Midi von den meisten gar nicht richtig wahrgenommen. Ein Kanal halt. Aber was es bedeutet, auf 240 Kilometern Länge die Wasserstrasse so ins Gelände zu legen, dass man nicht nur vom Scheitelpunkt hinunter ans Meer, sondern auch umgekehrt fahren kann, das ist schon ein Meisterwerk! Es stammt von Pierre-Paul Riquet, der zuerst ein Modell anfertigte und dann die Pläne erstellte.
In nur 15 Jahren haben 12 000 Arbeiterinnen und Arbeiter den Kanal gebaut. Man stelle sich vor: Der Aushub geschah mit reiner Muskelkraft, mit Spaten, Hacken und Ochsenkarren… Im Mai 1682 konnte der Kanal dem Verkehr übergeben werden. Erbauer Riquet hat die Einweihung jedoch nicht mehr erlebt. Er starb im Oktober 1680.





Ein technisches Wunderwerk
Nach Inbetriebnahme musste Kanal noch an einigen Orten optimiert werden, um Überschwemmungen zu verhindern. 1694 war das Werk dann definitiv vollendet, mit 63 Schleusen, 136 Brücken und 55 Aquädukten. Mit Seilen und unter der Zugkraft von Pferden wurden nun die Handelsschiffe vom Treidelweg aus gezogen. Der mehr oder weniger schmale Weg entlang des Kanals dient heute Wanderern und Velofahrern als sportliche Abwechslung zum Bordleben.
Wer genau hinschaut, entdeckt an den Brücken die jahrhundertealten Schleifspuren, welche die Seile hinterlassen haben. Um die Brückendurchgänge zu schonen, wurden irgendwann Umlenkrollen aus Metall angebracht. In Le Somail ist ein schönes Exemplar zu finden. Ich versuche die verrostete Rolle zu drehen, während ich mir vorstelle, wie einst die Taue über das Metall glitten. Es wäre schon spannend, wenn man die Zeit wie einen Film zurückspulen könnte…

Dann würde man auch keine Lücken in den Platanen-Reihen entlang des Kanals entdecken. Eine heimtückische Pilzkrankheit, die Franzosen nennen sie Chancre coloré, befällt seit einigen Jahren die Bäume, welche die Uferbereiche festigen und Schatten spenden. Die Krankheit – aus dem Ausland eingeschleppt – verbreitet sich über das Wasser und den Kontakt mit Booten. Sie tötet die Platanen innerhalb von nur zwei bis fünf Jahren. Die befallenen Bäume müssen gefällt und vor Ort verbrannt werden. Ein anderes Gegenmittel gibt es bis jetzt nicht.

Es waren einst 42 000 Platanen – seit 2006 sind bereits tausende Bäume verschwunden. Die Lücken sind nicht mehr zu übersehen und sie werden immer grösser. Auch wenn wieder junge Bäume angepflanzt werden, so verändert sich die Landschaft dennoch rasend schnell. Den «alten» Canal du Midi wird man bald nur noch von alten Fotos kennen…





Ein Abenteuer zum Abschalten
Für die einwöchige Reise haben wir uns das Filetstück des Canal du Midi ausgesucht. Von Homps bis vor die Siebenfachschleuse Fonserannes bei Béziers und zurück.

An unserer Kehrtwende schauen uns natürlich noch das Manövrierschauspiel an der Siebenfachschleuse an. Das Wasser tost und spritzt als der Schleusenwärter die Schieber öffnet. Ein Boot hat sich zu weit nach vorne gewagt. In der Schleusenkammer entwickelt sich zudem ein Sog, der das Boot noch näher an die rauschenden Wassermassen zieht – weshalb der Matrose am Bug gut geduscht wird. Schmunzeln in den Reihen derer, die am Schleusenrand stehen, Fotoapparate klicken, wieder einmal hat ein Hobbykapitän dafür gesorgt, dass an der berühmten Schleuse von Fonserannes das Zuschauen zum Amüsement wird. Aber ich bin ganz froh, dass wir vor der Schleuse umkehren. Ich glaube, ich hätte es nicht viel besser gemacht…

Dieser Kanal, er hat einfach eine wundersame Anziehungskraft. Die Spiegelbilder der Platanen laden zum Schauen und Träumen ein. Vielleicht liegt es an der Symmetrie, in die man während der Fahrt förmlich eintaucht? Jedenfalls zaubern diese Bilder innert kürzester Zeit eine angenehme Ruhe in unsere Köpfe. Nach zwei Tagen haben wir das Gefühl, schon mindestens eine Woche unterwegs zu sein. Und Langeweile ist auch nicht ausgebrochen, denn für Abwechslung sorgen Dörfer und Städte wie Le Somail, Ventenac-en-Minervois, Capestang und (wenn die Zeit reicht) Narbonne.
In Capestang machen wir uns einen Spass daraus, Muscat in eine Trompe-l’oeil-Malerei zu setzen.



Nach den Ausflügen habe ich mich aber immer wieder auf das kuschlige Bordleben gefreut, auf ein feines Essen und ein tolles Glas Wein – schliesslich fährt man hier durch die Weingärten der Region Languedoc-Roussillon!
Suchtfaktoren
Das Berührendste für mich waren allerdings die Nächte in freier Natur. Am späten Nachmittag irgendwo, nur nicht in einem Hafen, anzulegen, bis weit in die Nacht hinein unterm Sternenhimmel zu tafeln und zu plaudern, das hat mir so richtig gefallen. Und die Morgenstimmung am nächsten Tag – mit Vogelgezwitscher, rosa Wölkchen, Kräuterduft und dem spiegelglatten Kanal – bringt den Geist in Schwung und lässt die Phantasie wieder etwas höher fliegen. Eine dampfende Tasse Kaffee dazu und die Welt ist einfach in Ordnung. Dieses Gefühl gilt es zu bewahren…


Infos zum Canal du Midi
ANREISE
Am bequemsten mit dem Auto (Bern–Homps knapp 7 Std.); vor Ort erleichtert das den ersten Lebensmitteleinkauf. Das Auto kann bei der Basis des Bootsvermieters parkiert werden. Bei Einwegfahrten transportiert der Bootsvermieter den Wagen zur Basis am Endpunkt der Bootsreise.
BESTE REISEZEIT
Wer den südlichen Teil des Canal du Midi bereist, ist von Mai bis Mitte Oktober gut unterwegs. Im Hochsommer kann es streckenweise heiss sein, denn wegen des Chancre Coloré («Farbiger Krebs», der eine Pilzkrankheit ist) mussten seit 2006 Tausende von Platanen gefällt werden. Somit fehlt dort der Schatten.
BOOTE
Lieber ein zu grosses als ein zu kleines Boot wählen. Aufgepasst: Einige Boote haben so wenig Stauraum, dass es sich lohnt eine unbewohnte Kabine als Reduit zu haben. Grosse Boote sind nicht schwieriger zu lenken, als kleine. Bekannt und bewährt sind die Vermietungen von LeBoat und Locaboat Holidays, beide mit deutschsprachiger Vertretung in der Schweiz: Marina Travel AG, Bern, www.marinatravel.ch. Marina Travel kann auf über 40 Jahre Erfahrung mit Bootsferien zurückblicken.
RESTAURANTS
Les Tonneliers
23 Quai Les Tonneliers
F-11200 Homps
www.restaurant-lestonneliers.com
Regionale und authentische Menüs, die den Aufenthalt im Hafen von Homps versüssen… Gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Für viele ist es DAS Restaurant am Canal du Midi.
Auberge du Somail
1, Chemin de Halage
F-11120 Le Somail
www.aubergedusomail.com
Hier wird ebenfalls Einheimisches wie Cassoulet (Eintopf) serviert.
Auberge de la Croisade
Port Sériège, Hameau de la Croisade
F-34310 Cruzy
www.auberge-de-la-croisade.com
Eines der besten Restaurants entlang des Canal du Midi. Die Menüs sind reichhaltig und preiswert.
EINKAUFEN
Nahe von Homps, in Lézignan-Corbières (bei Autobahnausfahrt), gibt es einen InterMarché, wo man sich mit Lebensmitteln, Toilettenpapier etc. eindecken kann. Unterwegs sind nicht überall Läden zu finden bzw. sie haben nicht immer geöffnet. Vorausschauend einzukaufen!
An einigen Schleusen werden Produkte aus der Umgebung angeboten. Honig, Wein, manchmal Brot.
Die Epicerie Flottante bei der Brücke von Le Somail ist auf jeden Fall einen Besuch wert – falls es sie noch gibt. Wir haben vernommen, sie sei geschlossen worden… Wäre sehr schade.
Liebhaber von antiken Büchern sollten unbedingt einen Blick in die Librairie Ancienne du Somail werfen. Auch wer nichts kaufen will, wird von der Fülle der Bücher überwältigt sein. Man kann auch zusehen, wie Bücher restauriert werden: www.le-trouve-tout-du-livre.fr
WEITERE INFOS
http://ch.france.fr/de/sehenswert/auf-dem-canal-midi
Infos zu Hausbooten und Flüssen/Kanälen
Marina Travel
Jean Stalder und Barbara Blümlein
Kapellenstrasse 18
CH-3011 Bern
Tel. 031 381 45 55
www.marinatravel.ch
© Text & Fotos: Inge & Heinz Jucker | TravelExperience.ch
Dieser Beitrag ist in ähnlicher Form auch im Migros-Magazin veröffentlicht worden.
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